Thüringer Wirtschaft weiter stark gefordert
Konjunkturbericht Herbst 2020 der IHK Südthüringen für den Freistaat Thüringen
Boom und Krise stehen eng nebeneinander im ersten Thüringer Winter der Corona-Pandemie. Für ein Viertel der Unternehmen laufen die Geschäfte so gut wie im Vorjahr oder noch besser. Die Mehrheit der Betriebe befürchtet dagegen, dass es nie wieder so wird, wie es einmal war; oder, dass die Erholung noch sehr lange dauern könnte. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage der Thüringer Industrie- und Handelskammern, die von der IHK Südthüringen für den Freistaat ausgewertet wurde.
Jedes zweite Thüringer Unternehmen steht derzeit ohne finanzielle Sorgen dar. Jedes dritte verfügt über unbesetzte Stellen. Mangels geeigneter Bewerber bleiben diese monatelang unbesetzt. Jedes vierte berichtet, die eigene Geschäftstätigkeit sei bereits auf Vorkrisenniveau oder sogar darüber. Auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmen mit existenziellen Sorgen. Ein Teil davon wird trotz großzügig geschnürter staatlicher Hilfen die Trendwende mit zunehmender Corona-Immunität in der Bevölkerung nicht mehr erleben.
Vor diesem Hintergrund beurteilen derzeit 30 Prozent der Thüringer Unternehmen ihre Lage als gut, 38 Prozent als saisonüblich bzw. befriedigend, 32 Prozent als schlecht. In den kommenden Monaten rechnen lediglich 16 Prozent der Betriebe mit einer Verbesserung ihrer Lage. 34 Prozent erwarten hingegen ungünstigere Geschäfte, weitere 50 Prozent keine Veränderung. Der Konjunkturklimaindikator, ein geometrischer Mittelwert aus den Lage- und Erwartungseinschätzungen der Unternehmen, erreicht 89,6 Punkte auf der 200-Punkte-Skala. Eine ähnlich schlechte Konjunkturbewertung gab es zuletzt in 2009 zur Hochphase der Wirtschafts- und Finanzkrise.
„Die Wirtschafts- und Finanzkrise war eine Vertrauenskrise der Finanzwirtschaft. Eine durchdachte Förderung der Politik von Beginn verhinderte, dass die gesundheitspolitischen Eingriffe eine realwirtschaftliche Insolvenzwelle verursachen. Der Zusammenbruch vieler Unternehmen hätte im zweiten Schritt den Finanzsektor stark beschädigt. Eine zügige Erholung der Wirtschaft nach Aufhebung der Corona-bedingten Einschränkungen ist möglich, sofern Insolvenzen weiterhin eine Ausnahme bleiben“, erklärt Dr. Ralf Pieterwas, Hauptgeschäftsführer der IHK Südthüringen.
Auch fehlende Sicherheit kann eine Vertrauenskrise auslösen. Derzeit ist vieles nicht planbar. Für jedes zweite Unternehmen sind Auftragsbestand sowie Umsätze zu klein. Die Folge: die Ertragslage sinkt. Mangelnde Sicherheit und Renditen blockieren zwar Investitionen, dennoch sehen 16 Prozent Betriebserweiterungen vor. Jedes vierte Unternehmen – insbesondere in Ostthüringen – plant, viel Kapital und Manpower in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen aufzuwenden. Doch zugleich übt sich jedes zweite Unternehmen in Zurückhaltung, wenn es um Investitionen geht. Investiert wird generell weniger als im Vorjahr oder gar nicht.
Ähnlich sieht es im Bereich der Personalplanung aus. Auch wenn qualifizierte Mitarbeiter gesucht werden, gehen doch 18 Prozent der Unternehmen von einem sinkenden Personalbestand aus. Freie Stellen werden nicht nachbesetzt. Zuweilen trennt man sich auch von Mitarbeitern mit geringer Produktivität. Zugleich ist vielen Unternehmen bewusst, dass die High Potentials angesichts der demografischen Entwicklung knapp und immer knapper werden.
Blick in die Branchen
In der Industrie arbeiten 40 Prozent der Unternehmen mindestens auf dem Niveau der langjährigen Normalauslastung, die Hälfte davon sogar am Rand der Kapazitätsgrenze. Auf der anderen Seite erreichen aber 33 Prozent Auslastungsgrade unter 70 Prozent. Die regionale Branchenentwicklung ist stark abhängig davon, wie intensiv Unternehmen mit der Automobilindustrie verbunden sind. Die Vorzeigebranche kriselt angesichts des kraftvollen technologischen Wandels mit unklarer finaler Entwicklungsrichtung. Vor Ort äußert sich dies durch zurückgegangene Aufträge für ein Drittel der Unternehmen und einen Auftragsbestand, der 56 Prozent nur kurzfristige Nachfrage beschert.
Im Baugewerbe hat sich vor allem in Ost- und Südthüringen die Auftragslage für etwa die Hälfte der Unternehmen verschlechtert. Fallen Investitionen in der Industrie aus, hat der Gewerbebau weniger zu tun. Trotzdem verfügen vier von fünf Unternehmen über eine gute oder zumindest befriedigende Ertragslage.
Im Handel dominieren in Thüringen stationärer Einzelhandel, Großhandel und Kfz-Handel. Der Internethandel verfügt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – allenfalls über Betriebsstätten und steht für die IHK-Umfragen nicht zur Verfügung. In jeder zweiten Handelseinrichtung sind in den vergangenen Monaten die Umsätze zurückgegangen; lediglich 20 Prozent erreichten Umsatzsteigerungen. Mit einer Trendwende rechnen in den kommenden Monaten nur 14 Prozent der Unternehmen.
Drei von vier Fuhrunternehmen erreichen Auslastungsgrade über 70 Prozent. Dies stellt angesichts von Leerfahrten einen guten Grenzwert für die Branche dar. Im Vergleich zum Vorjahr sind die damit erzielten Erträge jedoch erheblich geringer. Zwei Drittel der Unternehmen verdienen weniger als im Jahr 2019. Lediglich 13 Prozent erwarten im kommenden Jahr eine Besserung.
Die Situation des Gastgewerbes ist in Thüringen regional sehr unterschiedlich. So werden in Südthüringen Lage und Erwartungen erheblich besser bewertet als in den anderen Landesteilen. Dafür ist die Zufriedenheit bei Beherbergungsbetrieben in Mittel-, Nord- und Westthüringen in Bezug auf Übernachtungen, Aufenthaltsdauer und Bettenauslastung höher als in Ost- und Südthüringen. Insgesamt ist die Branche jedoch Leidtragende des bisherigen Umgangs mit der Pandemie in Deutschland. Die Konsequenz daraus ist, dass die Ertragslage für zwei von drei Unternehmen schlechter als vor einem Jahr ist.
Suhl, 8. Dezember 2020
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