Rosinenpickerei unterbinden

IHK Südthüringen zur geplanten Ausbildungsgarantie

Die Bundesregierung möchte allen Schulabgängern eine Ausbildung in ihrem Wunschberuf garantieren. Darauf liefe es hinaus, wenn ein aktuell in der Diskussion befindlicher Gesetzentwurf verabschiedet würde. Angesichts wachsender Personalengpässe in den Firmen setzt sie damit die falsche Priorität. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Südthüringen fordert stattdessen eine staatliche Garantie von Bewerbern auf die von den Unternehmen angebotenen Ausbildungsplätze.

Die duale Berufsausbildung ist der Markenkern des deutschen Arbeitsmarkts. 60 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verfügen über einen anerkannten Berufsabschluss. In den ostdeutschen IHK-Bezirken Chemnitz, Magdeburg und Südthüringen werden mit drei Vierteln der Beschäftigten Spitzenwerte erreicht. Üblicherweise ersetzen Auszubildende ausscheidende Mitarbeiter, die die Altersgrenze erreichen. Angesichts des Rentenbeginns der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre nehmen die Herausforderungen zu. Für 2022 waren in den Datenbanken der Bundesagentur für Arbeit 69.000 unbesetzte Ausbildungsplätze registriert – eher die Untergrenze, weil Unternehmen ihre freien Plätze der Agentur nicht melden müssen.

Die Bundesregierung bestreitet diese Diagnose zwar nicht, setzt jedoch einen anderen Schwerpunkt. Sie fokussiert darauf, dass 13 Prozent der Beschäftigten deutschlandweit über keinen Berufsabschluss verfügen. Sie begründet dies damit, dass es sowohl Regionen mit einem Überangebot an Ausbildungsplätzen als auch solche mit einer Unterversorgung gibt. Das neue „Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung“ soll daher einen Rechtsanspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung schaffen. Voraussetzung sind nachweisbare Bewerbungsbemühungen, Inanspruchnahme der Berufsberatung und eine Unterversorgung an Ausbildungsplätzen.

„Die IHK Südthüringen lehnt die geplante Ausbildungsgarantie ab. Sie ist zwar als ‚ultima ratio‘ gedacht, doch der vorliegende Gesetzentwurf ist viel zu allgemein gehalten. Die geplante Regelung würde es ermöglichen, durch Rosinenpickerei, also gezieltes Verhalten, eine außerbetriebliche Ausbildung in einem Traumberuf zu erhalten, und zwar unabhängig davon, ob es einen entsprechenden Bedarf auf dem Arbeitsmarkt gibt. Auf diese Weise wird die Besetzung der zahlreichen betrieblichen Ausbildungsplätze gefährdet. Stattdessen sollte die Zielsetzung eine bessere Vermittlung in die reichlich vorhandenen regulären Ausbildungsplätze sein“, erklärt Dr. Ralf Pieterwas, Hauptgeschäftsführer der IHK Südthüringen.

In fast allen Bundesländern existieren bereits Förderprogramme, die Jugendliche mit multiplen Vermittlungshemmnissen unterstützen. Das bisherige Angebot an Plätzen der Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen wird häufig nicht ausgeschöpft. Eine bundesweite Öffnung der Fördervoraussetzungen, also sowohl der Verzicht auf eine Begrenzung auf Regionen mit einer Unterversorgung an Ausbildungsplätzen als auch die Vergrößerung der Inanspruchnahme über die schon jetzt weit gefasste Zielgruppe der lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligten Jugendlichen, ist kontraproduktiv. Neben dem regionalen Angebot an Ausbildungsplätzen sollte der Fokus auf aktuelle Bedarfe der Wirtschaft im Gesetz konkretisiert werden. „Die Beratung junger Menschen muss arbeitsmarktorientiert erfolgen. Sofern Ausbildungsbewerber an unrealistischen Wunschberufen festhalten, werden Ausbildungsbetrieben nicht nur Bewerber für ihre freien Plätze entzogen, sondern wird darüber hinaus an den Bedarfen des Arbeitsmarktes vorbei qualifiziert“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Ralf Pieterwas.

Um die Attraktivität der dualen Ausbildung weiterhin zu stärken, empfiehlt die IHK Südthüringen die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns an einen anerkannten Ausbildungs- oder Hochschulabschluss zu koppeln. Auch ist eine Verschiebung der Altersbegrenzung für den Mindestlohn von 18 auf bspw. 21 Jahre zu überlegen. Zusätzlich sollte die Mobilität von Schulabgängern zur Aufnahme einer dualen Berufsausbildung außerhalb des Wohnorts erheblich besser gefördert werden. Lücken, die dann noch bestehen, sollten durch gezielte Anwerbung von Auszubildenden aus dem Ausland geschlossen werden.

„Letztlich begrüßt die Wirtschaft, dass völlig aus der Zeit gefallene Vokabeln wie Ausbildungsplatzumlage und Weiterbildungsfreistellung aus dem Gesetzentwurf entfernt wurden“, so IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Ralf Pieterwas. Positiv im Gesetzentwurf zu bewerten ist auch das geplante Berufsorientierungspraktikum für noch nicht abschließend orientierte junge Menschen aller Schulformen. Sehr wichtig sind außerdem die geplanten Flexibilisierungen im Rahmen der Einstiegsqualifizierung. Begrüßenswert ist schließlich, dass die Mobilität der Jugendlichen besser unterstützt werden soll. Allerdings bezweifelt die IHK Südthüringen, dass der geplante Mobilitätszuschuss ausreicht, um die Attraktivität von Berufsausbildungsplätzen weit weg vom Wohnort zu erhöhen.

Zur Information: Der Gesetzentwurf wurde am 28. April 2023 von der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht und erstmalig beraten und vom Bundestag in die Ausschüsse überwiesen. Am 22. Mai 2023 findet im Ausschuss für Arbeit und Soziales eine öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf statt. 


Suhl, 15. Mai 2023

Anja Boller
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