Kein Regelungsbedarf
IHK Südthüringen lehnt gesetzliche Bildungszeit ab
Die Bundesregierung will die Weiterbildungsförderung stärken. Mittels einer Bildungszeit soll Beschäftigten ein bis zu einjähriger bezahlter Weiterbildungsurlaub ermöglicht werden – für Teilzeitbeschäftigte sogar bis zu zwei Jahre. Aus Sicht der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südthüringen besteht hierzu kein Regelungsbedarf. Statt immer wieder neue Aufgaben für die Arbeitslosenversicherung zu erfinden, sollte sich ihre Verwaltungsträgerin, die Bundesagentur für Arbeit, auf ihr Kerngeschäft besinnen und sich angesichts sinkender Arbeitslosenzahlen verkleinern.
Die Zeiten der Massenarbeitslosigkeit sind lange vorbei. Der letzte Höhepunkt wurde mit deutschlandweit 4,86 Mio. Arbeitslosen in 2005 erreicht. In 2022 waren es nur noch halb so viele. Zwar hat sich in diesem Zeitraum auch der Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung mehr als halbiert. Es gibt jedoch noch zu viele Ressourcen, so dass frei werdende finanzielle Mittel zunehmend in versicherungsfremde Leistungen gesteckt werden. Wurde Weiterbildung früher eingesetzt, um Arbeitslosen neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erschließen, nehmen die Agenturen für Arbeit heute alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Blick.
Der neueste Beitrag zur Kompetenzausdehnung ist das „Gesetz zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit“, das seit Mitte Dezember im Entwurf vorliegt. Stimmt der Gesetzgeber zu, erhalten alle Beschäftigten das Recht auf einen bis zu einjährigen Bildungsurlaub für Vollzeitbeschäftigte bzw. bis zu zweijährigen Bildungsurlaub für Teilzeitbeschäftigte. Die Entlohnung soll in dieser Zeit aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung kommen und sich auf 60 Prozent bzw. 67 Prozent des Nettogehalts belaufen. Der Gesetzentwurf verlangt die Zustimmung des Arbeitgebers, die berufliche Weiterentwicklung des Arbeitnehmers und einen hinreichenden Arbeitsmarktbezug.
„Im Bereich der Weiterbildung gibt es kein Marktversagen. Arbeitgeber bilden ihre Mitarbeiter entsprechend ihrer betrieblichen Erfordernisse weiter. Tun sie das nicht, verschwindet ihr Unternehmen auf Kurz oder Lang vom Markt, weil die Wettbewerber besser sind. Fehlt aber das Marktversagen, so fehlt die ordnungspolitische Rechtfertigung für das neue Gesetz. Vielmehr entsteht der politökonomisch gut begründbare Verdacht, dass Bundesarbeitsministerium und Bundesagentur für Arbeit nach neuen Aufgaben suchen, um sich ihre Bedeutung auch angesichts schwindender Arbeitslosenzahlen zu erhalten. Nach unserem Dafürhalten sollte man auf dieses Gesetz verzichten und die Arbeitsagenturen verkleinern“, erklärt Dr. Ralf Pieterwas, Hauptgeschäftsführer der IHK Südthüringen.
Vorbild für den Gesetzentwurf sind Regelungen aus Österreich. Arbeitsmarktforschern zufolge führt die österreichische „Bildungskarenz“ jedoch weder zu Beschäftigungsausweitungen noch zu Einkommenssteigerungen. Positiv hervorzuheben ist, dass der Gesetzentwurf anders als das Thüringer Bildungsfreistellungsgesetz die Zustimmung des Arbeitgebers zur Bildungszeit im Rahmen eines gesonderten Vertrags verlangt. Diese Regelung muss im Gesetzgebungsverfahren Bestand haben, falls der Gesetzgeber an dem überflüssigen Gesetz festhält.
Auch weitere Regelungen des Gesetzentwurfs erscheinen als verzichtbar. Dies gilt insbesondere für die Ausbildungsgarantie. Diese Regelung überrascht, da kein Bewerberüberschuss auf Ausbildungsplätze besteht, sondern die Unternehmen vielmehr händeringend nach Bewerbern suchen. Zudem werden die Erstattungen für berufliche Weiterbildung in der Kurzarbeit verstetigt. Dieses Instrument floppte in der Vergangenheit, weil die von der Bundesagentur für Arbeit entwickelten Anforderungen an Weiterbildungsangebote hinsichtlich Stundenumfang und Zertifizierung viel zu hoch für die bestehenden Bedürfnisse der Unternehmen waren.
Suhl, 3. Februar 2023
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