Online-Shop: Keine Vorkasse, solange noch kein Kaufvertrag abgeschlossen wurde
Ein Verkäufer darf von seinen Kunden nicht verlangen, für den Kaufpreis in Vorleistung zu gehen, solange noch gar kein Kaufvertrag abgeschlossen wurde. Eine solche Aufforderung verletzt den Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in § 397 Absatz 1 Nummer 1 BGB, der besagt, dass Leistungen nur erbracht werden müssen, wenn ein Rechtsgrund besteht, und dementsprechend ein Verlangen nach einer Leistung nur geäußert werden darf, wenn bereits eine wirksame rechtliche Verpflichtung begründet worden ist. Diese Rechtsauffassung vertritt das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg mit Urteil vom 30.01.2024, Az. 3 U 1594/23.
Sachverhalt:
Der Kläger wendet sich mit seiner auf lauterkeitsrechtliche Ansprüche gestützten Klage dagegen, dass die Beklagte im Rahmen der Bezahlart „Vorkasse“ die Kaufpreiszahlung fordert, obwohl nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Vertrag erst mit Zustellung der Ware geschlossen sein soll. Der Kläger ist ein Verbraucherschutzverband, der in der Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 des Gesetzes über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz – UKlaG) eingetragen ist. Die Beklagte betreibt das Online-Geschäft eines Discounters.
Das zuständige Landgericht wies die Klage ab. Die Beklagte besitze den nachvollziehbaren Grund, sich eine Vorleistungspflicht des Kunden auszubedingen. Der Kunde könne bei Nichtannahme durch die Beklagte die von ihm geleisteten Beträge gemäß § 311 BGB zurückfordern. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG Erfolg.
Gründe:
Der Kläger kann nach § 8 Absatz 1 UKlaG die Unterlassung der Aufforderungen zur Vorleistung verlangen, weil die Vorkasse-Regelung aufgrund der Kombination mit der Regelung zum Zeitpunkt des Zustandekommens des Vertrags die Verbraucher unangemessen benachteiligt. Die Bestimmungen in den AGB der Beklagten, die das Vorgehen bei Bezahlung per Vorkasse regelt, sieht vor, dass der Kunde den vollen Rechnungsbetrag innerhalb von 7 Tagen nach der Bestellung an die Beklagte zu überweisen hat.
Weder bei Beauftragung der Überweisung durch den Kunden noch bei Zahlungseingang bei der Beklagten besteht jedoch bereits ein schuldrechtlicher Kaufvertrag, weil nach Nummer 1 AGB dieser erst mit der mehrere Tage späteren Zustellung der Ware geschlossen wird. Ein Grundgedanke der gesetzlichen Regelung in § 397 Absatz 1 Nummer 1 BGB besteht darin, dass Leistungen nur erbracht werden müssen oder sollen, wenn ein Rechtsgrund besteht, und dementsprechend ein Verlangen nach einer Leistung nur geäußert werden darf, wenn bereits eine wirksame rechtliche Verpflichtung begründet worden ist.
Die Beklagte besitzt zwar ein legitimes Interesse daran, nicht dem Risiko ausgesetzt zu sein, dass der Besteller den Kaufpreis für die Ware nicht leisten will oder nicht leisten kann. Dieses Interesse rechtfertigt jedoch nur, eine Vorauszahlung zu verlangen. Der anzuerkennende Bedarf nach Absicherung gegen einen Zahlungsausfall kann aber nicht legitimieren, auch den Vertragsschluss hinauszuschieben.
Die vom Gesetz für derartige Fälle zugelassene und vorgesehene Lösung, den Vertrag sogleich zu schließen und sich lediglich auszubedingen, die eigene Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung zurückbehalten zu dürfen, und sich bei Ausbleiben der Zahlung vom Vertrag lösen zu können, trägt dem beschriebenen Interesse der Beklagten in jeder Hinsicht Rechnung. Die Verbindung von Vorkasse-Abrede und späteren Vertragsschluss bewirkt, dass der Kunde an die Beklagte den Kaufpreis leisten muss, ohne dass bereits ein Vertrag zustande gekommen ist und er seinerseits einen Anspruch auf die Gegenleistung besitzt. Auch wenn die Beklagte eine Reservierung des Gegenstandes verspricht und gewisse Lieferfristen benennt, bietet dies nicht denselben Schutz wie ein vollwirksamer Kaufvertrag. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis, wie es nach einer der Varianten des § 311 Absatz 2 BGB zustande kommt, wenn ein Kunde zwecks Lieferung und Vertragsschluss eine Bestellung aufgibt, begründet grundsätzlich nur Schutz- und Rücksichtnahmepflichten, aber keine Erfüllungsansprüche. Insgesamt bewirkt daher das Hinausschieben des Vertragsschlusses jedenfalls im vom Kläger angegriffenen Fall, wenn der Kunde die Zahlungsoption „Vorkasse“ gewählt hat/wählen musste, erhebliche Nachteile für den Kunden. Er wird, falls die Beklagte ihren Ankündigungen nicht nachkommt, im Hinblick auf Erfüllungs- und Ersatzansprüche weitgehend schutzlos gestellt, er muss die Liquidität über einen längeren Zeitraum entbehren, ohne sicher sein zu können, dass er die Ware geliefert bekommt.
Die Beklagte könnte sich gegen das Risiko, die Leistung zu erbringen, ohne die Gegenleistung zu erhalten, anderweitig absichern, einen Schutz dagegen, hier zuerst das Prozedere der Nachfristsetzung durchlaufen zu müssen, kann sie nicht beanspruchen. Die von der Beklagten getroffene und praktizierte Regelung weicht damit in ungerechtfertigter Weise vom gesetzlichen Leitbild ab. Aus diesen Erwägungen folgt zugleich, dass es irrelevant ist, dass der Kunde zunächst nicht verpflichtet ist, die Vorleistung zu erbringen, da eine vertragliche Verpflichtung noch nicht zustande gekommen sei. Daraus, dass ihm die faktische Obliegenheit auferlegt wird, die Zahlung zu leisten, ohne eine ausreichend gesicherte und gleichwertige rechtliche Position zu besitzen, resultiert gerade die Benachteiligung.
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