Umsetzung der Berufsorientierung stockt in Thüringen

Verbindlichkeit in den Stundenplänen fehlt

Im Jahr 2019 wurde die praktische Berufsorientierung im Thüringer Schulgesetz verankert. Doch nach drei Jahren lässt die praktische Umsetzung der Berufsorientierung zu wünschen übrig. Zwar gibt es inzwischen eine Leitstrategie und eine fachliche Empfehlung zur Umsetzung vom Thüringer Bildungsministerium. Allerdings bleibt es den Schulen bislang weitgehend selbst überlassen, wie und in welchem Umfang ihre Schüler die Möglichkeit haben, in Berufe zu schnuppern und so ihre Berufswahl zu treffen.

Laut § 47 a des Thüringer Schulgesetzes ThürSchulG ist die Berufsorientierung ein entscheidendes Instrument, um junge Menschen zu einer umfassenden Berufsreife zu führen. Demnach soll die berufliche und arbeitsweltliche Orientierung an allen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen verpflichtender Bestandteil der Lehrpläne sein.

Auf Basis des Schulgesetzes hat das Thüringer Bildungsministerium eine Landesstrategie zur beruflichen und arbeitsweltlichen Orientierung in Thüringen entwickelt und in diesem Jahr novelliert. Diese Leitlinie enthält keine konkrete Verpflichtung zur vollumfänglichen Umsetzung von hochwertigen und nachhaltigen Maßnahmen. Dazu zählen Stärken-Schwächen-Analysen der Schüler (Potenzialanalyse), das Kennenlernen verschiedener Berufsfelder (Berufsfelderkundung) und das Sammeln erster praktischer Erfahrungen in einem Beruf (Berufsfelderprobung). Stattdessen kommen die Schulen mit niederschwelligen Angeboten wie Betriebsbesichtigungen ihrer Aufgabe nach. Ebenso fehlen in der Leitlinie Vorgaben für konkrete Zeitkontingente für die Berufsorientierung. Immerhin wurden in die Neuauflage der Landesstrategie für Berufsorientierung Gymnasien aufgenommen.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Südthüringen hat auf Basis von Gesprächen mit mehreren Schulvertretern erfahren, dass aktuell nur für „Berufswahlfreundliche Schulen“ (sog. Q-Siegel-Schulen) konkrete Lerninhalte oder gar Zeitkontingente in den verschiedenen Stundenplänen definiert sind. „Leider rückt die Vorbereitung auf die Berufswahl im Schulalltag vielfach in den Hintergrund, obwohl gerade die berufliche Orientierung ein entscheidender Pfeiler für die Ausbildung des Fachkräftenachwuchses, aber auch für die Lebensperspektive der jungen Menschen ist“, sagt Dr. Ralf Pieterwas, Hauptgeschäftsführer der IHK Südthüringen.

Erst im Mai 2022 hat das Bildungsministerium eine „Fachliche Empfehlung zur beruflichen und arbeitsweltlichen Orientierung an allgemein bildenden Schulen in Thüringen“ herausgegeben. „Wir begrüßen diesen Schritt, da den Schulen nun eine Handlungsanweisung für die Umsetzung der Berufsorientierung zur Verfügung steht. Allerdings reicht es nicht aus, es den Schulen zu überlassen, mit welchen einzelnen Aktivitäten sie ihre Schüler beruflich orientieren. Der Einsatz der gut durchdachten Instrumente sollte verbindlich für jede Schulart in einem festgelegten Stundenumfang vorgeschrieben sein, übrigens auch in den berufsbildenden Schulen. Das Konzept, das die „Berufswahlfreundlichen Schulen“, anwenden, sollte zum Grundsatz für alle allgemein bildenden Schulen in Thüringen werden“, schlägt der IHK-Chef vor.


Suhl, 18. Juli 2022

Anja Boller
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